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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 23.02.2010


Pink Taxi
Claire Horst

Der Titel ist wörtlich zu nehmen: In seinem Dokumentarfilm begleitet Uli Gaulke drei Moskauerinnen, die in ihren rosa Taxis ausschließlich Frauen befördern. Marina, Alla und Viktoria ernähren ...




... mit ihrem Job sich und ihre Kinder - und müssen sich dafür immer wieder rechtfertigen.

Können Sie garantieren, dass sie sicher zu Hause ankommt?", fragt ein Mann, dessen Bekannte in ein Pink Taxi einsteigt. "Natürlich", antwortet die Fahrerin gelassen. Derartige Kommentare ist sie gewöhnt, schließlich sind Taxifahrerinnen in Russland eine Seltenheit, und von den rosa Fahrzeugen gibt es nur 22 in ganz Moskau.

Ihre Fahrgäste sind zumeist Frauen aus der Oberschicht - Unternehmerinnen, Firmenchefinnen und Töchter aus Industriellenfamilien. Mit ihnen sprechen die drei selbstbewussten Frauen über alles, was sie bewegt. Das moderne Russland und die Rolle der Frau, Karriere und Freizeit, Kinder und der Alltag als Mutter sind Themen, die immer wieder auftauchen. Und natürlich die Männer. Für Marina, Alla und Viktoria gehören diese einer besonderen Spezies an. Alle drei haben mindestens eine gescheiterte Ehe hinter sich, ihre Männer haben sich entweder totgesoffen oder sie für eine jüngere Frau verlassen.

Darüber sind die Frauen zwar traurig, jedoch nicht erstaunt. Sie halten es für einen ganz gewöhnlichen Vorgang. "Das passiert häufig. Nur schade, dass es meine Lieblingsnichte war." Derart lakonisch wird der Umbruch des eigenen Lebens kommentiert. Männer sind eben so, scheinen die Fahrerinnen zu glauben. Sie erklären sich das mit der ökonomischen Krise: Den Zusammenbruch der Sowjetunion und den resultierenden Verlust des Arbeitsplatzes haben viele Männer nicht verkraftet – und sowieso sind die Kerle schließlich das schwächere Geschlecht. Mit Wodka stoßen die Frauen trotzdem auf sie an – und wünschen sie sich stärker. Denn eine funktionierende Beziehung zu einem Mann, auf den sie sich verlassen können, hätten sie trotz allem gern.

Daher nimmt das Gespräch über Männer den größten Raum ein. Das ist ein bisschen schade. Zwar ist es sehr interessant, von den Erfahrungen und Enttäuschungen der drei zu erfahren, doch sind andere Gesprächsthemen mindestens genauso aufschlussreich. So erfährt die Zuschauerin vor allem aus den Erzählungen der Gäste von anderen Aspekten des modernen Russlands. Die Generaldirektorin einer Kosmetikfirma berichtet etwa von den Wünschen der durchschnittlichen Russin: Statistisch gesehen besitze jede Frau in Russland mindestens einen Lippenstift von Dior, auch wenn sie sich ihn eigentlich nicht leisten könne. Stil und ein gepflegtes Aussehen spielen für diese Frauen eben eine große Rolle.

Dass Frauen in Russland aber viel mehr können als nur gut aussehen, beweisen alle Protagonistinnen. Ob es ein spätes Erbe des Staatssozialismus ist, dass zumindest in der Oberschicht Frauen ganz selbstverständlich Führungspositionen einnehmen, trotz des vorherrschenden Machismo? Wenn sich eine von ihnen mit dem eigenen Sohn herumschlagen muss, der lieber Fußballstar werden will als zu arbeiten, spürt man eine leise Wut aufkommen – ebenso wie man sich gemeinsam mit ihnen über die Verlobung einer verliebten jungen Kundin freut und über die beruflichen Erfolge anderer Fahrgäste.

Uli Gaulke gelingt es, die Kamera fast unsichtbar werden zu lassen. Nur selten ruft man sich in Erinnerung, dass hier ja gefilmt wird, etwa wenn die Mutter des Fußballers ausruft: Blamier mich nicht! Ansonsten sind die Zuschauerinnen einfach dabei: im Alltag zu Hause, bei der Arbeit und in der von den drei Frauen gemeinsam hergerichteten Datscha. Als beobachtete man eine Freundin, so fühlt es sich an, wenn die Fahrerinnen kitschige Liebeslieder im Autoradio mitsingen, traurige Fahrgäste trösten oder bei einem Unfall in Wutanfälle ausbrechen.

"In meinen Filmen geht es um den Blick nach außen, grenzüberschreitend und kulturübergreifend. Ich suche nach dem, was die Menschen in unterschiedlichen Kulturen und politischen Systemen in ihrem Streben nach Glück vereint.", erklärt der Regisseur auf seiner Webseite. "All diese Geschichten handeln von Liebe, von Träumen und Hoffnungen, den Enttäuschungen, dem täglichen Auf und Ab im Leben der Menschen."

AVIVA-Tipp: Uli Gaulke möchte in seinen Filmen Geschichten zeigen, die "mit einem überraschenden Blick auf die jeweilige Kultur aufwarten, die lebensbejahend, wahrhaftig und humorvoll sind und die das Publikum berühren und zum Nachdenken anregen." Das ist ihm mit "Pink Taxi" definitiv gelungen.

Zum Regisseur: Uli Gaulke ist Regisseur und Autor. Er wurde 1968 in Schwerin geboren und studierte zunächst Physik und Informatik, danach Theaterwissenschaften in Berlin und Regie in Potsdam. Parallel arbeitete er als Filmvorführer in den Kinos International, Arsenal und FAF und ist Mitbegründer des Balasz Kinos in Berlin. Zu seinen weiteren Filmen gehören "Havana, mi Amor" (2000), "Heirate mich" (2003) und "Comrades in Dreams" (2006). Für seinen Dokumentarfilm "Havana mi Amor" wurde er 2001 mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet.
Der Regisseur im Netz: www.uli-gaulke.de

Pink Taxi
Deutschland 2009
Länge: 80 Minuten
Russisch mit deutschen Untertiteln
DarstellerInnen: Marina Uljanova, Alla Kondratjeva, Viktoria Stotzkaja
Regie: Uli Gaulke
Kamera: Alex Schneppat
Produktion: Helge Albers, Flying Moon Filmproduktion GmbH
Kinostart: 4. März 2010

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Claire Horst